***The Hateful 8***

th8 kritik
 
Autor: Tim Prahle
 
Quentin Tarantino präsentiert uns mit seinem achten Streich bereits zum zweiten Mal in Folge einen Western, der es in sich hat. Mit knallharten Charakteren, einer überragenden Filmmusik und jeder Menge Kunstblut.
 
Eine filmreife Vorgeschichte

19. April 2014, Ace Hotel Theatre in Downtown Los Angeles. Drehbuch-Lesung von „The Hateful 8“ vor ca. 1.600 eingefleischten Tarantino-Fans. Die Vorgescichte des Films ist fast schon einen eigenen wert. Denn ein Jahr vor dieser Lesung ging die Nachricht, dass das Drebuch von Tarantinos neuestem Projekt an die Öffentlichkeit gelangt war, um die ganze Welt.
 
Der Kultregisseur ließ daraufhin das Projekt fallen. Doch an jenem 19. April 2014 wollte er zumindest ein einziges Mal seine Idee der Welt zeigen. Die Lesung, die zusammen mit einem großen Teil des späteren Casts abgehalten wurde, bekam begeisterte Reaktionen. Wir bekamen Standing Ovations“, erinnert sich Samuel L. Jackson. „Wir sahen uns an und fragten uns: Wie kann er den Film nach dieser Erfahrung nicht machen?“ Tarantino entschied sich deshalb um und acht Monate später begannen dann schliesslich doch die Dreharbeiten zu "The Hateful 8".
 
 
Heißes Blut im kalten Western (Achtung! Spoiler!)
 
"The Hateful 8" beginnt mit einer langen Sequenz, in der sich aus weiter Entfernung eine Kutsche nähert. Überall liegt Eis und Schnee, Die Kutsche ist weit und breit das einzige zivilisatorische Element. In ihr sitzen der Kopfgeldjäger „Henker“ John Ruth (Kurt Russel) und seine Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh).
 
Sie sind auf dem Weg nach Redrock, wo Domergue gehängt werden soll – Ruth hat die Angewohnheit seine Opfer immer lebend abzuliefern. Doch zunächst fliehen sie vor allem vor dem nahenden Schneesturm. Ebenfalls auf dem Weg nach Redrock und Schutz suchend vor dem Schneesturm ist Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), ebenfalls Kopfgeldjäger mit ein paar Leichen zum Abliefern. Er darf in der Kutsche mitfahren genauso, wie etwas später der Anhalter Chris Mannix (Walton Goggins), der behauptet in Redrock seinen Dienst als neuer Sherriff antreten zu wollen.
 
Die Kutsche mit der zusammengewürfelten Truppe kommt wegen des Schneesturmes allerdings nur bis zu „Minnies Miederwarenladen“. Dort warten der Mexikaner Bob (Demin Bichir), der sich angeblich in Minnies Abwesenheit um den Laden kümmert, der schweigsame Cowboy Joe Gage, der angeblich seine Mutter zu Weihnachten besuchen will und Oswaldo Mobray, ein Brite und seiner Aussage nach Henker von Redrock. Komplettiert werden die titelgebenden Acht (Die ironischer Weise kein einziges Mal im Film in dieser Konstellation zusammen sind vom alten, verbitterten und rassistischen Konföderierten-General Sandford Smithers (Bruce Dern).
 
Mit dieser Begegnung ist der Rahmen geschaffen für ein heterogenes Zusammensein von acht Charakteren, die alle lügen könnten, die sich alle vor dem anderen schützen wollen und bei dem niemand weiß (auch der Zuschauer nicht) wer was im Schilde führt. Die Spannung, die in der Hütte entsteht, während draußen der Schneesturm tobt ist authentisch, intensiv, fesselnd.
 
Gebrandmarkt von Tarantinos anderen Filmen verfolgt der Zuschauer jede Bewegung, jedes Wort immer mit der Frage im Rücken: Wer schießt zuerst? Warum? Auf wen? Wie ist die Reaktion? Der Zuschauer wird mit in die Hütte gezogen. Eine paradoxe Situation. Draußen: Ein heftiger Schneesturm. Drinnen: Eigentlich absolute Ruhe, das Kaminfeuer macht diese Hütte fast gemütlich. Die Atmosphäre: aufgeladen und mitreißender als der Schneesturm vor der Tür.
 
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Die Kunst der Inszenierung
 
Zu Beginn des Films passiert erstmal nicht viel. Die ersten 90 Minuten des drei Stunden Epos bestehen hauptsächlich aus Dialogen und einer theaterähnlichen Inszenierung mit einer für heutige Verhältnisse eher geringen Schnittfrequenz. "The Hateful 8" lebt dabei, wie viele Tarantino-Filme, vor allem von den ausgefeilten Charakteren.
 
Und der Möglichkeit des Zuschauers, diese näher kennenzulernen. Doch dieser Aspekt offenbart auch eine Schwäche. In einem Film, in dem es insgesamt nur ein Hand voll Menschen gibt, soll jeder Charakter auch möglichst gut in Szene gesetzt werden. Nur nötig ist das nicht. Es wirkt manchmal überzogen und das wäre nicht einmal so schlimm, wenn es die Story unberührt ließe, aber tatsächlich mindert es deren Qualität. Zumal die Story selbst schon ein paar logische Lücken aufweist.
 
Den überragenden Cast führen in Tarantino´s achtem Film Samuel L. Jackson und Kurt Russell an. Jennifer Jason Leigh ist für ihre Darstellung als Daisy Domergue in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ außerdem für den Oscar 2016 nominiert. Bemerkenswert: Auch Jennifer Lawrence („Tribute von Panem“) sprach für diese Rolle vor.
 
Fluchend, spuckend und blutend geht es anschliessend weiter. Quentin Tarantino ist dabei auch dieses mal wieder ein authentisches Mit- und Gegeneinander gelungen.
 
Dabei scheinen vor allem die Schauspieler förmlich darin aufzugehen, ihre Rolle so realitätsnah, so hart und brutal wie möglich spielen zu können. Denn Tarantino verschont den Zuschauer wie gewohnt nicht, sondern gewährt ihm einen vorzüglichen Blick auf allerlei Wunden, Verletzungen, Erbrochenem und all die anderen Sachen, denen man im Alltag nicht begegnen möchte und die wahrscheinlich auch ihren heimlichen Anteil an Tarantinos Erfolg haben.
 
Aber "The Hateful 8" lebt auch von der umfassenden Inszenierung. Quentin Tarantino drehte den Film nämlich im 70mm-Format. Dies soll dem Zuschauer, sofern er den Film in einem dafür vorgesehenen Kino sieht, eine noch größere Intimität zu der Landschaft und den Charakteren vermitteln. Für Cineasten also ein durchaus lohnenswertes Feature.
 
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Perfekt bis ins kleinste Detail
 
Echte und treue Tarantino-Fans würden all diese Aspekte selbstverständlich schon genügen. Doch auch eine eindrucksvolle Filmmusik gehört zu einem perfekten Tarantino-Erlebnis. Verantwortlich hierfür war bei "The Hateful 8" – wie schon teilweise bei „Django Unchained“ –  kein geringerer als Komponisten-Legende Ennio Morricone.
 
Ein Mann, der selbst Laien ein Begriff sein dürfte, nicht zuletzt wegen seiner unverwechselbaren Melodien aus „Zwei glorreiche Halunken“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“.
 
Seine Arbeit für „The Hateful 8“ bescherte dem 87-Jährigen bereits einen „Golden Globe“ und eine "Oscar"-Nominierung (beides in der Kategorie „Beste Filmmusik“). Insgesamt ist Morricone bisher für die Filmmusik von mehr als 500 Filmen verantwortlich gewesen.
 
Quentin Tarantino hat also auch diesmal wieder auf ein perfektes Gesamtbild Wert gelegt und zeigt damit abermals seine große Liebe zum Kino.
 
Mit dem Western schließt sich für den Kultregisseur nach eigener Aussage auch ein Kreis zu seinem allerersten Film „Reservoir Dogs“. Darin wurde übrigens auch zuerst viel geredet, bevor es blutig wurde. Richtig blutig. Und darauf müssen sich die Zuschauer auch dieses Mal wieder einstellen.