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Kritik: Kinds of Kindness

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Yorgos Lanthimos hat sich innerhalb weniger Jahre große künstlerische Freiheit erarbeitet. Mit seinem neuen Film nutzt er diese Freiheit wieder in ganz besonderem Maße.
 
Sweet Dreams Are Made Of This
 
An dieser Stelle, wie sonst in meinen Rezensionen üblich, die Handlung des Films zusammenzufassen, wäre im Falle von “Kinds of Kindness“ unsinnig. Ein Überblick über die Handlungen der drei verschiedenen Episoden dieses Films würde dem Film nicht gerecht. Niemand wird sich diesen Film der Handlung wegen ansehen. Und sollte dieser Film sein Publikum finden und einen Teil davon erreichen, dann sicher ebenfalls nicht wegen der Handlung.
 
Lanthimos hat immer komplexe Filme gedreht. Auf „The Lobster“ musste man sich einlassen. „The Killing of a Sacred Deer“ musste man sich als Betrachter erarbeiten. „The Favourite“ war vielleicht sein „zugänglichster“ Film, konnte aber auch missverstanden werden. Über „Poor Things“ habe ich bereits Ende letzten Jahres geschrieben, der Film sei eher für das Feuilleton und Festivals bestimmt als für das Publikum. Und bisher habe ich tatsächlich noch keinen „regulären“ Filmfan getroffen, der von diesem Film auch nur halbwegs so begeistert wäre, wie die internationale Filmkritik.
 
 
Ähnlich wie „Poor Things“ ist „Kinds of Kindness“ auch wieder ganz großartig anzusehen. Kameramann Robbie Ryan liefert nach „The Favourite“ und „Poor Things“ wieder Bilder erlesenster Qualität. Aber statt dem historischem England oder Steampunk-Städten um 1900 bekommen wir diesmal die modernen USA zu sehen. In New Orleans gedreht, zeigt uns der Film in fast hyperrealistischen Bildern nicht diese spezielle Stadt sondern eine Art anonymen Querschnitt des modernen Amerika mit Chefbüros und Vororthäuschen, Motels und Polizeirevieren, Parkhäusern und Landstraßen.
 
Ausstattung und Kostümbildner haben extrem hochwertig und exakt gearbeitet. So lassen sich die drei verschiedenen, nur lose verbundenen Episoden, leicht unterscheiden, obwohl immer die gleichen Schauspieler*innen verschiedene Personen in verschiedenen Situationen darstellen. Die Mitwirkenden zeigen einige der besten Leistungen ihrer Karrieren.
 
Aber irgendwann könnte man sich die Frage stellen, wozu dieser ganze Aufwand? Denn bei allem Respekt für das Drehbuch von Lanthimos und seinem Langzeit-Coautor Efthymis Filippou, die Substanz ihrer drei Geschichten steht in keinem Verhältnis zur Qualität der Arbeit sämtlicher anderer Beteiligter an diesem Film, sowohl vor als auch hinter der Kamera.
 
Jeder der drei Geschichten stellt eine Art Meditation über Beziehungen dar. Und weil Lanthimos und Filippou die Welt nun mal so sehen wie sie sehen, ist jede dieser Meditationen über Beziehungen auch eine über Bedürfnisse, Abhängigkeit und Macht. So weit, so … ich will nicht „zynisch“ schreiben. Nennen wir es „trostlos“. Denn Trost hat wirklich keine dieser drei Geschichten zu bieten. Daher: So weit, so trostlos.
 
Abgesehen von ihrer allgemeinen Trostlosigkeit und der brillanten filmischen Umsetzung, was haben diese drei Meditationen über Beziehungen, Bedürfnisse, Abhängigkeit und Macht sonst noch zu bieten? In der ersten der drei Geschichten, geht es um die Macht, die Arbeitgeber haben können wenn alle Bereiche des eigenen Lebens, auch die privaten, mit dem Job verbunden und davon abhängig sind. Das Ende dieser ersten, schrägen Geschichte kann man als „unausweichlich“ bezeichnen. Man könnte es aber auch „vorhersehbar“ nennen.
 
01 ©2024 20th Century Studios02 ©2024 20th Century Studios03 ©2024 20th Century Studios05 ©2024 20th Century Studios
 
In der zweiten Geschichte nimmt ein Mann seine Frau nicht als „echt“ wahr. Er ist überzeugt, sie ist nicht seine richtige Frau, sondern eine Fälschung. Was die Frau zu tun und zu ertragen bereit ist, um von ihrem Mann als „seine richtige Frau“ wahrgenommen zu werden, kann man, wenn man möchte, als Parabel auf konventionelle Geschlechterrollen verstehen. Man kann sich aber auch fragen, ob das Schräge der Geschichte auf Kosten des Inhalts ging.
 
Die dritte Geschichte versucht noch schräger zu sein als die ersten beiden Episoden. Das Schrägste daran ist aber die Beiläufigkeit mit der hier den weiblichen Figuren nicht nur sexuelle Gewalt angetan wird. Die wiederum vorhersehbare Pointe dieser Episode wird bereits früh angekündigt und beruht auf der aggressiven, unaufmerksamen Fahrweise der weiblichen Hauptfigur.
 
How deep is your love?
 
Ich will hier nicht behaupten, Yorgos Lanthimos hält alle Frauen für schlechte Autofahrer. Aber sein Frauenbild ist sicher ein sehr Spezielles. Denn nicht nur ist „Kinds of Kindness“ der Film mit den unnötigsten weiblichen Nacktszenen des Jahres. Es fällt auf, dass bei Lanthimos nur die im konventionellen Sinne attraktiven Darstellerinnen blank ziehen müssen.
 
Von Emma Stone bekommen wir während des Films wieder mehr zu sehen als ihr aktueller Lebensabschnittspartner vermutlich an so manchen Tagen. Margaret Qualley hat in “Once Upon A Time in Hollywood” eine Prostituierte gespielt und in “Nice Guys” eine Pornodarstellerin. So viel wie in „Kinds of Kindness“ haben wir in keinem der beiden Filme von ihr zu sehen bekommen. Die bezaubernde Hunter Schafer („Cuckoo“) hat nur eine einzige Szene im Film. Ihre nackte Oberweite ist trotzdem ausgiebig im Bild.
 
Hong Chau war für „The Whale” für einen Oscar nominiert und ist eine durchaus aparte Erscheinung. Aber vielleicht weil sie nur 1,55 m groß ist oder vielleicht weil sie schon über vierzig ist, … jedenfalls ist sie in „Kinds of Kindness“ nicht nackt zu sehen, obwohl Geschlechtsverkehr mit ihren Figuren in zwei der drei Episoden sogar ein Handlungselement ist. Auch eine bildhübsche aber doch recht kräftig gebaute unbekannte junge Darstellerin namens Krystal Alayne Chambers darf ihre Unterwäsche anbehalten. Hier ist nicht einfach nur ein Muster erkennbar. Das Publikum kann leicht erkennen, welchen Typ Frau Yorgos Lanthimos bevorzugt.
 
Emma Stone ist nach „The Favourite” und „Poor Things“ wieder ganz klar Lanthimos Favorit, das arme Ding. Und auch wenn sie in „Kinds of Kindness“ wieder eine großartige Leistung zeigt, könnte sie darüber nachdenken, wie leicht sie als zweifache Oscar-Gewinnerin solche Leistungen auch in der Zusammenarbeit mit Regisseur*innen zeigen könnte, die sie nicht in jedem einzelnen ihrer Filme nackt sehen … Verzeihung, … zeigen müssen.
 
Auch Willem Dafoe beweist sich, wie zuletzt in „Poor Things“, wieder als ganz besonderer Darsteller. Seine Rollen in der ersten und dritten Episode dieses Films hätten bei anderen Darstellern leicht ins Lächerliche abgleiten können. Nur Dafoe kann so mühelos und natürlich gleichzeitig Satan und Verführer, bestimmend und erbärmlich, Monster und doch Mensch sein. Margaret Qualley, Hong Chau und Mamoudou Athie („The Circle”) liefern solide Leistungen ab, wenngleich sie ihre verschiedenen Rollen in den einzelnen Episoden nicht so unterschiedlich gestalten können wie die drei Stars des Films.
 
Der unbestreitbar größte Star des Films ist Jesse Plemons. Plemons hat sein Können zunächst in Nebenrollen in Fernsehproduktionen wie „Breaking Bad“ und Spielfilmen wie „Barry Seal – Only in America“ oder „Vice“ unter Beweis gestellt. Mittlerweile hat er sich in so unterschiedlichen Filmen wie „I’m Thinking of Ending Things“ oder „The Power of the Dog“ als großartiger, vielseitiger Menschendarsteller profiliert. Sein Auftritt in „Civil War“ war das mit weitem Abstand Beste am ganzen Film.
 
Es ist sicher kein Zufall, wenn Plemons in der letzten Episode von „Kinds of Kindness“ eine verhältnismäßig kleine Rolle zu spielen hat. Denn bereits während der ersten zwei Drittel ist dieser Film ein Fest für einen der besten Schauspieler unserer Zeit. Wenn Plemons demnächst mit Größen wie Gene Hackmann oder Philip Seymor Hoffman verglichen werden wird, wird man sich an „Kinds of Kindness“ als seinen ersten großen Film erinnern. Der Darstellerpreis in Cannes neulich war hochverdient und diesem Preis werden sicher noch weitere folgen.
 
Fazit
 
Yorgos Lanthimos hat seine künstlerische Freiheit genutzt, um attraktive Schauspielerinnen nackt zu zeigen, aber auch um uns zu zeigen, wer einer der besten männlichen Schauspieler unserer Zeit ist. Irgendwo dazwischen steckt ein Film, der nicht annähernd so originell ist wie Lanthimos meint, aber doch origineller als das meiste, das wir in diesem Jahr im Kino zu sehen bekommen werden.
 
 
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